Harz 2008

Ostersamstag, 22.3.08: Was treibt einen Menschen dazu, an einem freien Tag frühmorgens aufzustehen, sich eine 5-stündige Zugfahrt anzutun, um dann auch noch gut 20 km in den Bergen zu wandern? Sind Leute, die so etwas tun, Verrückte? Ja, sie sinds’s, und ich bin es auch. Ich mache mich am frühen Morgen mit dem Zug auf nach Bad Harzburg. Dort auf ca. 200m NN angekommen liegen nur Matschreste vom Schneefall der Nacht herum. Was für ein krasser Unterschied nach einer 20minütigen Busfahrt zum Torfhaus auf 800 m NN: Dort liegen 40 cm Schnee, die Umgebung sieht aus wie ein Winter-Wonderland. Auf dem von mir schon zweimal erwanderten Goethe-Weg geht es Richtung Brocken. Nach kurzer Zeit hat mich der Wald geschluckt, die Zivilisationsgeräusche verstummen, der Weg ist relativ festgetreten, der Schnee griffig und trocken, es schneit ganz leicht vor sich hin. Nach gut 30 Minuten ist der erste Wegweiser zum Brocken erreicht:

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Oh, noch 6,3 km, und das bei zwar leichtem Schneefall, zunehmender Steigung und dünner werdender Luft? Meine Füße zeigen die ersten Ermüdungerscheinungen, der Körper sagt: “Mach es dir gemütlich! Gehe durch den Wald spazieren.” Aber mein Wille schreit: “Du packst es! Rauf auf den Brocken!” Mein Wille gewinnt... Weiter geht es durch den einsamen Wald, hin und wieder zieht ein Langläufer vorbei, andere Wanderer grüßen kurz. Hier ist man ansonsten allein mit der Natur. Leise fällt der sanft rieselnde Schnee auf die Jacke, es ist still, man hört nur den eigenen Atem

Bald ist die Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt erreicht. Hier am Eckersprung steht eine der drei Schutzhütten auf dem Weg zum Brocken. Ich nutze die Gelegenheit zur Pause und zur Erleichterung des Marschgepäcks (Essen und Trinken)

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Gut 50-60 cm Schnee liegen hier. Am Rastplatz schaut nur noch der Tisch aus dem Schnee heraus, die Bänke sind versunken

Nach dem Eckersprung folgt ein sehr steiler Anstieg, der ehemalige Kolonnenweg. Heute war er gut zu gehen, da der Schnee sehr griffig war und ein Wegrutschen verhinderte.
Wer diesen Teil des Weges geschafft hat, denkt ans Umkehren: Die Beine schmerzen etwas, die Muskeln schreien nach Sauerstoff. Menschen mit Blutdruckproblemen sollten schon vorher umkehren.
Aber es geht weiter: Der Weg führt an einem Abhang vorbei, der dichte Wald liegt hinter mir und trotz des bedeckten Wetters ist der Schnee gleißend hell und blendet. Ein Langläufer vor mir fährt in die Bäume und erklärt mir, er habe plötzlich nichts mehr gesehen...

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Zeitweise weht hier ein etwas schärferer Wind, die Stille des Fichtenwaldes fehlt, es wird ruppiger, sowohl von der Landschaft als auch vom Wetter her.

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Nach einer weiteren Stunde in der Einsamkeit ist die belebtere Brockenstraße erreicht. Dieser Pferdewagen, der sonst Menschen von Schierke aus zum Brocken bringt, schafft den letzten Teil der jetzt wieder starken Steigung offensichtlich nicht mehr und die Kutscherin muss unter Geschimpfe mit den Pferden das Fuhrwerk auf der Brockenstraße wenden, was eine gute Viertelstunde in Anspruch nimmt.

1100 Höhenmeter sind erreicht. Ich fotografiere gerade das Schild. als ein sächsischer Familienvater zu mir meint: “Gomm Se, isch moch mol’n Fodo von Ihnen. Des gloobt Ihnen jo sonst geen Mensch, dass Sie bei solschem Weddo hier ooben worn...”
Ich freue mich, mir wird warm ums Herz, aber kalt an der Haut, denn der Wind wird stärker und der Schneefall intensiviert sich.

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Die letzten Höhenmeter kosten immense Kraft. Hier oben auf dem Gipfelplateau heult ein gewaltiger Schneesturm, man stapft zum Brockenfelsen durch knietiefe Schneeverwehungen. Ich bekomme einen Eindruck davon, was ein “White-out” ist. Hier oben ist es heute so, der Schnee fegt waagerecht über das Plateau, die Kälte kriecht unter die Jacke, man sieht nur noch weiß. Ein Pärchen ist genauso verrückt wie ich und fotografiert mich und ich sie.
Lange aufhalten kann man sich in dieser arktischen Umgebung nicht und ich trete bald den Rückweg an.

Der Zugang zum Imbiss bei Brockenwirt ist durch haushohe Schneeverwehungen verbaut, drinnen sitzen sicher viele Menschen, die bequem mit der Brockenbahn hochgekommen sind. Ich tue mir die bohnensuppengeruchsgeschwängerte Luft dort nicht an, sondern mache noch ein paar Fotos von den “Brockenmännern”, durch Schnee und Eisansatz geformte Fichten unterhalb des Brockengipfels.
Schneehöhe hier: ein knapper Meter, so viel wie letztes Jahr um diese Zeit.

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Sieht aus wie ein Eisbär... ;-)

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Der treibende Schnee und die aufliegenden Wolken lassen alle Farben verblassen, aber zaubern eine wunderbare Stimmung, die Bilder gar nicht wiedergeben können. DAS muss man selbst gesehen und erlebt haben!

Gegen 17 Uhr bin ich nach einem zweistündigen Abstieg zurück in Torfhaus. Hier tobt inzwischen auch der Schneesturm, Räumfahrzeuge räumen ununterbrochen die Straße von Verwehungen, der Bus braucht statt der üblichen 20 Minuten heute 40 Minuten bis zum Bahnhof in Bad Harzburg. Hier hat inzwischen auch der Schnee für eine 2 cm hohe Schneedecke gereicht, ebenso viel wie in Ratekau liegt, als ich gegen Mitternacht wieder zu Hause bin.

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Was hat dieser Tag gebracht außer Muskelkater am nächsten Tag? Oh, viel! Endlich einmal einen richtigen Wintertag erlebt - Schneesturm wie seit 3 Jahren nicht mehr erlebt - ein einzigartiges Naturerlebnis - unbeschreibliche Stille in den Bergen - eins sein mit der Natur - es sich bewiesen haben: du schaffst es, auf diesen verdammten Berg zu kommen! ;-)
Ja, es war ein unvergesslicher Tag, doch bin ich eigentlich nicht der so große Winterfan. OK, für diesen Tag war es schön in den Bergen mit viel Schnee, aber Urlaub dort verbringen wie der Magdeburger, der mir als Nebensitzer bei der Busfahrt vom Winterurlaub vorschwärmte??? Wer’s mag... Ich ziehe Aufenthalt an tropischen Stränden vor ;-)

 

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